Wie nahe steht uns das Humanistische Menschenbild?

Werte

Eine Schülerin unseres Lebenskundeunterrichts beschäftigte sich mit dem Humanistischen Menschenbild und kam in ihrem mehrseitigen Aufsatz zu einem ermutigenden Ausblick, den wir gerne veröffentlichen:

Ein Mensch, der selbst ein höchst würdevolles und schönes Leben erfährt, dies gleichzeitig aber auch anderen ermöglicht, sich für Solidarität, Gleichbehandlung und Vielfalt einsetzt, ist der Ansatz des Humanistischen Menschenverständnisses. Ein schöner Gedanke, eine wunderschöne, friedvolle Welt, eine Gesellschaft ohne Krieg, ohne Egoismus, ohne Ausgrenzung, ohne Menschenrechtverletzungen. Jeder kann sein Leben selbst gestalten, sein Lebensglück, seine Lebenslust maximieren, das Beste aus seinem Leben machen, solange er niemanden damit einschränkt. Zufriedenheit basiert auf Gegenseitigkeit, statt Egoismus und Ausbeutung. Das Leben richtet sich primär nach Gewissen und Moral statt nach der Wirtschaft und materiellen Gewinnen. Verschieden Denkende leben gemeinsam, friedlich ohne Streit und Krieg. Statt vorschnell zu urteilen, werden die Denkansätze anderer angehört, hinterfragt, man kommt in einen Austausch, liefert neue Ansätze und bei völligem Dissens kommt es keinesfalls zu einem Ausschluss. Verschiedene Religionen leben daher friedlich beisammen, verschiedene politische und sexuelle Orientierungen akzeptieren einander und unterstützen die Entfaltung seiner selbst und des der anderen. Eine harmonische Welt.

… die so jedoch nicht existiert. Unsere Welt ist voller Schattenseiten. Täglich werden Menschenrechte verletzt und mit Füßen getreten. Es gibt so viele Menschen, die Tag für Tag unter unmenschlichen Bedingungen leben müssen, die Tag für Tag seelisch und körperlich verletzt werden, die in ihren Rechten, ihrem persönlichem Glück eingeschränkt werden. Chancengleichheit ist in unserer aktuellen Welt ein Wort, dass alles andere als präsent ist. Vielmehr das Gegenteil ist der Fall. Menschen werden wegen ihrer Hautfarbe aus der Gesellschaft ausgeschlossen, werden gewalttätig unterdrückt, von der vermeintlichen Schutzmacht, der Polizei, bloßgestellt, verletzt und getötet. Versklavung, Menschenhandel, Kinderarbeit, Prostitution, usw. sind Themengebiete, die früher stark präsent waren und noch immer stattfinden, vielen ist dies jedoch gar nicht bewusst.

Wie viele Menschen kaufen ihre Kleidung bei sogenannten „fast fashion – Shops“? Bei H&M, Zara oder Bershka? Lassen dabei völlig außer Acht, wo ihre Kleidung herkommt, wer sie herstellt, unter welchen Bedingungen sie hergestellt werden? Kinderarbeit, Unterbezahlung, unmenschliche Arbeitszeiten und -Bedingungen, fehlende Hygiene. Dafür, dass wir ein Oberteil für fünf Euro kaufen können, dieses fünf mal anziehen und uns das nächste direkt finanzieren können, ist ja schließlich nicht teuer. Der wahre Preis ist vielen Menschen leider weniger bewusst. Sie wissen nicht, was Menschen dank uns erleiden. Klar, die Menschen können immerhin arbeiten, doch unter welchen Bedingungen? Ist das fair? Kann man von Chancengleichheit sprechen? Wohl kaum. Zahlreiche Menschen wollen diese Ungerechtigkeiten gar nicht sehen, nichts ändern, trauen sich auch einfach oftmals nicht, etwas zu sagen. Mir geht’s ja gut ist hier häufig die Devise. Auch die Umwelt leidet unter diesem Motto. Egoistisch fahren wir jeden Tag Auto, selbst zum Supermarkt um die Ecke, den wir locker zu Fuß erreichen können. Hauptsache bequem. So auch mit dem Reisen. Bahnfahren dauert schließlich viel länger als Fliegen. So treten zahlreiche Menschen, zu normalen Zeiten, täglich Kurzstreckenflüge an. Auch Langstreckenflüge sind keine Seltenheit, entfernte Reiseziele sind dank Social Media und Werbung stets präsent, viel weniger jedoch die Auswirkungen, die Folgen, die das Fliegen mit sich bringt. Sie werden außer Acht gelassen.

Wie lange warnen Forscher nun schon vor dem Klimawandel, doch ein Handeln war vielen bis lang nicht wirklich möglich. Da müssen erst die Pole schmelzen, dass die Menschen anfangen darüber nachzudenken. Handeln fehlt größtenteils immer noch. Die Umwelt wird zerstört, Tiere verlieren ihren Lebensraum, Nahrung und damit passende Verhältnisse, in denen die Tiere überleben können. Dank unseres Konsumverhaltens sterben zahlreiche Tierarten aus, wird die Natur verschmutzt und letztendlich zerstört. Das nötige Bewusstsein fehlt vielen. Die Relation, die Konsequenzen sind häufig schwer einzuordnen, der Egoismus überwiegt auch hier. Der Klimawandel ist ein Problem, das früher bereits viel zu wenig Aufmerksamkeit bekommen hat und des im Bezug dazu benötigte Handeln noch immer fehlt. Wer sind die Hauptverursacher? Die Industrienationen. Wer bekommt die Folgen zuerst und vor allem massiv zu spüren? Die Entwicklungsländer. Stört das die reichen Staaten? Wohl kaum. Das Verhalten ist alles andere als fair. Menschen müssen fliehen, ihre Heimat verlassen. In Lesbos, einem Flüchtlingsaufnahmelager, leben Flüchtlinge unter unwürdigen Verhältnissen, nahezu Menschen verachtend. Kinder werden von Ratten angefressen, Hygiene ist kaum vorhanden. Europa unterhält diese Lager. Wir unterhalten diese Lager. Abschreckung, Einsperren, Krankheiten. So nehmen wir Flüchtlinge auf – unmenschlich. Betroffenheit reicht hier nicht mehr. Wir müssen aktiv werden.

Doch wie sollen Bewohner der Länder ein Bewusstsein entwickeln, wenn die Staaten mit ihrer Erziehungsfunktion als schlechtes Beispiel vorangehen? Natürlich gibt es Menschen, die hinterfragen, nicht alles annehmen, was ihnen aufgetischt wird. Doch es gibt eben auch genug Menschen, die sich einfach der Masse anpassen, alles hinnehmen, wie es kommt. Das ist jedoch mehr als gefährlich. Deshalb finde ich den Punkt, dass Wissenschaft und Bildung helfen sollen, eine Meinung, ein Bewusstsein zu entwickeln, besonders wichtig. Denn Tag für Tag leben viele Menschen, ohne an das Wohl ihrer Mitmenschen, der Tiere und der zukünftigen Generationen zu denken. Hauptsache das eigene Leben ist erträglich, ist schön. Alles andere zählt nicht. Doch was hat uns Menschen das Recht gegeben sich über andere Menschen, andere Lebewesen, über die Umwelt, die uns das Leben ermöglicht, zu stellen? Die Hautfarbe? Die Herkunft? Der pure Egoismus? Der Mensch ist des Menschen Wolf scheint unsere Gesellschaft deutlich zu durchziehen.

Gerade auch in Zeiten der Corona Pandemie scheinen viele Menschen mit einem Tunnelblick durchs Leben zu schreiten. Zu Beginn der Kaufdrang, die Angst, selbst nicht genug Toilettenpapier, nicht genug Mehl zu haben, war stets präsent. Das Maskentragen, was sich für viele als Qual darstellt. Klar, es ist nicht angenehm, doch wird man dadurch in seinen Grundrechten eingeschränkt? Ich glaube weniger. Das Ganze passiert für unser Wohlergehen. Sicherlich sollte man Dinge hinterfragen, sich seine eigene Meinung bilden. Man kann mit seinen Standpunkten von der allgemeinen Meinung abweichen. Muss man diese aber wirklich aktuell auf Demonstrationen ausleben? Kann man diese nicht auch anders kundgeben? Mit den Protesten gegen die Einschränkungen lebe ich ein mir gegebenes Grundrecht aus. Doch um welchen Preis? Damit schränke ich letztendlich viel mehr Menschen in ihren Grundrechten ein, zumal die Einschränkung durch solch unüberlegtes Handeln nicht weniger werden. Zudem bringen mir die zwei Stunden protestieren nicht unbedingt viel, wenn ich danach wegen Corona auf der Intensivstation alleine Weihnachten verbringen darf, vielleicht sogar mein Leben verliere oder bis zum Tod Nachwirkungen dieser Erkrankung verspüre. Wie können Menschen dies missachten? Wie können Menschen Silvester zu zehnt feiern, ohne ein schlechtes Gewissen zu verspüren. Schön, dass es einige gibt, bei denen Corona keine starken Auswirkungen zeigt. Doch was ist mit dem Rest?

Was ist mit den Alten, den Kranken, den Risikopatienten? Möchte ich das Leben anderer gefährden, einschränken für zehn Stunden feiern? Für eine Feier, die jedes Jahr aufs Neue stattfindet? Riskiere ich damit die Gesundheit so vieler Menschen? Oder halte ich mich schlicht weg an die Maßnahmen und lebe solidarisch statt egoistisch? Die Situation ist im Moment nicht schön und alles andere als einfach. Ausgangssperren um 9, Kontaktbeschränkungen und Hygienemaßnahmen sind ungewohnt, doch das sind Dinge, die machbar sind. Gerade wenn man bedenkt, was auf dem Spiel steht. Wir müssen das Beste aus der Situation machen. Doch dafür müssen wir gemeinsam handeln, zusammenhalten und das Gleichgewicht zwischen persönlichem und allgemeinem Wohl so gut wie möglich wiederherstellen beziehungsweise aufrechterhalten. Vor allem hier finde ich den Gedanken der Humanistischen Gemeinschaft schön, wichtig für das Funktionieren der Gesellschaft und versuche danach zu leben. Jeder Mensch sollte so frei wie möglich leben können, das Beste aus seinem Leben machen, jeden Tag, jede Stunde genießen. Natürlich sind einige Tage mal nicht so schön, doch gerade dann sollte man sich auf die besseren freuen können, diese umso mehr schätzen, statt in einem Netz voller Schatten gefangen zu sein. Ich möchte in Freiheit leben, selbst bestimmen, wie ich mein Leben gestalte, ohne dafür von anderen ausgeschlossen zu werden. Ich möchte meine Gedanken entfalten können, möchte dies aber auch anderen ermöglichen. Ich denke, dass ich ein schönes Leben führe, ich bin dankbar für jeden Tag, jeden schönen Moment, der mir gegeben wird. Ich schätze mein Leben, aber auch das meiner Mitmenschen. Ich möchte, dass sich auch andere sich so fühlen können, wie ich es tue.

Mein persönliches Glück schränkt sich bereits ein, wenn ich jemand anderes auf irgendeine Art und Weise einschränke, denn was bedeutet „glücklich sein“, wenn alle um einen herum traurig sind? Wenn sie etwas bedrückt? Wenn ich sie verletzt habe? Deshalb freue ich mich immer über Kritik, denn dann kann ich mein Handeln auch ändern. Andernfalls weiß ich ja gar nicht, ob ich andere traurig gemacht habe, oder nicht. Sprechen statt Schweigen ist auch hier die Devise. Ich denke, gerade auch das Reflektieren seiner eigenen Handlungen ist von großer Bedeutung. Häufig sagt oder macht man Dinge, ohne sich über deren Wirkung bewusst zu sein. Dennoch sollte man sich des öfteren die Fragen stellen: „War das fair, was ich gemacht oder gesagt habe? Möchte ich so behandelt werden, wie ich meine Mitmenschen behandle?“ Leider machen das weniger Menschen, es gibt viele, die Kritik nicht annehmen können. So werden sie jedoch kaum Kritik an sich selbst ausüben und sich Fehler eingestehen. Doch das ist gerade wichtig, denn erst dann kann ich persönlich an mir und meinem Verhalten arbeiten, es verbessern, sodass es nicht nur mir, sondern auch meinen Mitmenschen gut geht. Kommunikation, Fürsorge und Toleranz sind hierbei besonders wichtig. So können wir gemeinsam und vor allem füreinander an uns selbst arbeiten. Um anderen Menschen die gewünschte und benötigte Würde zu ermöglichen, die ich selbst auch erleben möchte, versuche ich Tag für Tag, jeden Menschen mit dem größtmöglichen Respekt zu begegnen, egal, wie sich die Menschen mir gegenüber verhalten. Es heißt, besser machen. Warum sollte ich Menschen genauso unfair behandeln, wenn mich das Verhalten von ihnen stört? Lieber zeige ich, wie man es besser machen kann und behandle Menschen so, wie ich selbst behandelt werden möchte. Letztendlich zählen meine Aktionen und Worte, nicht die der anderen.

Aufgrund der oben genannten Punkte geht mir das humanistische Weltbild besonders nahe. Ich glaube, dies ist eine Denkweise, die unsere Gesellschaft deutlich bessern würde, wenn zumindest Ansätze davon übernommen werden würden. Ich denke allerdings, dass viele Menschen Grundprinzipien dieses Menschenbildes bereits ansatzweise in ihrem Weltbild verankert haben, ohne sich bewusst mit der Humanistischen Gemeinschaft auseinandergesetzt zu haben, einfach aus dem Grund, dass einige der Prinzipien für ein friedliches Miteinander essentiell sind. Jedoch ist dies noch nicht bei allen Menschen der Fall. Daher ist es wichtig, die Gleichbehandlung von Kirche und Weltanschauungen zu erreichen. Es gibt so viele Menschen, die sich gar nicht bewusst sind, dass die Humanistische Gemeinschaft tatsächlich besteht. Würde diese jedoch präsenter werden, würde sich, denke ich, das Menschenbild schnell verbreiten und unser gemeinschaftliches Leben verbessern, sodass zumindest viele Menschen in Würde leben und gleichzeitig Würde ermöglichen könnten und dort ansetzten und zusammen arbeiten würden, wo wichtige Werte wie Chancengleichheit, Vielfalt, Solidarität, Toleranz, Selbstbestimmung und Würde noch nicht eingetreten sind. Die Welt ist veränderbar. Warum also sehen wir Ungerechtigkeiten und tun nichts dagegen? Würden wir hier bereits ansetzen, würde sich die Lebensqualität so vieler Menschen verbessern.

Der Weg ist weit, doch treten wir diesen niemals an, können wir das Ziel nicht erreichen. Also lasst uns gemeinsam handeln, solidarisch sowie selbstbestimmt und etwas bewirken, die Welt verbessern, jedes Leben einzigartig und wunderschön machen.

Paula Weiland, 18 Jahre

HuGH | Humanistische Gemeinschaft Hessen