Der Humanistische Verband Deutschland hat Wahlprüfsteine an alle demokratischen Parteien des aktuellen Bundestags versendet. Sofern eingehend, veröffentlichen wir hier die entsprechenden Rückmeldung. Hier nun die Antworten von der FDP:
1) Unsere Demokratie als wertvolles Gut braucht besonderen Schutz und Pflege. Sind Sie bereit, mehr staatliche Mittel in die Wissens- und Faktenvermittlung, neue (medien-)pädagogische Formate und neue Formen der Bürger*innenbeteiligung in der politischen Debatte und Lösungsfindung zu investieren?
Antwort: Wir Freie Demokraten bekennen uns zur repräsentativen Demokratie. Die zentralen Orte der Diskussion und Entscheidung sind unsere Parlamente. Auch die repräsentative Demokratie gewinnt aber durch neue Instrumente der Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger außerhalb von Wahlen. Entscheidender Adressat und Auftraggeber für mehr Bürgerbeteiligung sind für uns die Parlamente, etwa durch die Möglichkeit der Bürgerberatung durch Hausparlamente, die Erweiterung des Petitionsrechts um das „Bürgerplenarverfahren“ oder durch per Zufallsauswahl besetzte Bürgerräte. Letztlich trifft nur das Parlament legitimierte Entscheidungen. Der Beratungsauftrag muss daher klar eingegrenzt und die Erwartungen klar definiert sein. Der Deutsche Bundestag sollte zudem auf Open-Source-Basis eine digitale Plattform mit einer Vorhabenliste einrichten, die staatliche Behörden und Einrichtungen verpflichtet, ihre Pläne und Abwägungen künftig im Sinne echter Informationsfreiheit zu dokumentieren sowie der öffentlichen Kommentierung zugänglich zu machen. Das Wahlalter für Wahlen zum Europäischen Parlament und den Deutschen Bundestag wollen wir auf 16 Jahre absenken und die politische Bildung an allen Schulformen stärken.
2) Die soziale Ungleichheit hat durch die Pandemie weiter zugenommen. Riesige Vermögen stehen einer steigenden Zahl prekärer Verhältnisse gegenüber. Was unternehmen Sie zum Abbau solcher prekären Verhältnisse und der sozialen Kluft? Durch welche Maßnahmen werden Sie weiteren Sozialabbau verhindern?
Antwort: Jede und jeder Einzelne soll die Chance haben, beruflich und privat aufzusteigen. Der moderne Sozialstaat muss ein Sprungbrett sein. Er muss ermutigen, Potentiale freisetzen und Anstrengung auch wirklich belohnen. Ziel muss es sein, dass Menschen möglichst schnell berufliche Fortschritte machen können. Wir Freie Demokraten wollen Chancen durch Freiräume eröffnen – für ein selbstbestimmtes Leben. Wir wollen das Liberale Bürgergeld einführen und steuerfinanzierte Sozialleistungen wie das Arbeitslosengeld II (ALG II), die Grundsicherung im Alter, die Hilfe zum Lebensunterhalt oder das Wohngeld in einer Leistung und an einer staatlichen Stelle zusammenfassen, auch im Sinne einer negativen Einkommensteuer. Selbst verdientes Einkommen soll geringer als heute angerechnet werden. So möchten wir das Steuer- und Sozialsystem verbinden. Die Grundsicherung muss unbürokratischer, würdewahrender, leistungsgerechter, digitaler und vor allem chancenorientierter werden. Wir Freie Demokraten wollen darüber hinaus bessere Hinzuverdienstregeln beim ALG II beziehungsweise beim angestrebten Liberalen Bürgergeld. Die aktuellen Regeln sind demotivierend und sie belohnen kaum, die Grundsicherung durch eigene Arbeit Schritt für Schritt zu verlassen. Bessere Hinzuverdienstregeln ermöglichen aber genau das: Sie bilden eine trittfeste Leiter, die aus Hartz IV herausführt. Das Einkommen von Jugendlichen aus Familien, die ALG II beziehen, soll bis zur Höhe eines Minijobs gar nicht angerechnet werden. Junge Erwachsene sollen künftig nicht mehr für Forderungen des Staates haften, welche auf ein Verschulden der Eltern – wie beispielsweise das verspätete Anzeigen einer Erwerbstätigkeit der Eltern – beruhen. Das Schonvermögen in der Grundsicherung wollen wir ausweiten. Das betrifft insbesondere das Altersvorsorge-Vermögen, die selbst genutzte Immobilie und das für die Erwerbstätigkeit benötigte angemessene Kraftfahrzeug. Beim ALG II beziehungsweise beim angestrebten Liberalen Bürgergeld wollen wir einen einheitlichen Satz für alle erwachsenen Leistungsbezieherinnen und Leistungsbezieher – unabhängig vom Beziehungsstatus. Bei Rückforderungen durch die Jobcenter führen wir eine Bagatellgrenze für Kleinstbeträge ein. Beide Maßnahmen verringern den Verwaltungsaufwand und sorgen für eine transparentere und bürgernähere Grundsicherung. Dies erspart allen die teilweise entwürdigende Überprüfung der Wohn- und Familienverhältnisse.
3) Das Klimaschutzgesetz ist weiterhin unzureichend. Es fehlen ausreichende Maßnahmen zur Erreichung der Klimaneutralität. Kürzlich hat der Bürgerrat Klima (buergerrat-klima.de) Empfehlungen zur Klimapolitik vorgelegt. Welche dieser Empfehlungen werden Sie in konkrete politische Maßnahmen umsetzen?
Antwort: Wir Freie Demokraten bauen beim Klimaschutz auf die konsequente Umsetzung der europäischen Treibhausgasziele auf dem Weg zur Klimaneutralität bis 2050 mit Hilfe eines alle Wirtschaftsbereiche einschließenden Emissionshandels. Der daraus resultierende Marktpreis für Treibhausgase wird Innovations- und Verhaltensanreize setzen, durch die auch eine Reihe der Forderungen des Bürgerrats Klima schneller Realität werden. So bewirkt der CO2-Preis einen raschen Kohleausstieg, eine schnellere Marktdurchsetzung der Erneuerbaren Energieträger und einen effizienteren Einsatz von Energie. Kleinteilige Verbote, unnötige Regulierungen und technologiespezifische Subventionen lehnen wir hingegen auch in der Klimaschutzpolitik ab.
4) Über 60 Mio. Menschen sind auf der Flucht vor Hunger, Krieg und politischer Verfolgung. Werden Sie Fluchtursachen stärker bekämpfen, mehr Einwanderung ermöglichen und eine europaweite Asylpolitik mit schnellen und korrekten Entscheidungen ohne das gescheiterte Dublin-Verfahren umsetzen?
Antwort: Wir Freie Demokraten setzen uns für eine verstärkte Bekämpfung von Fluchtursachen und marktwirtschaftliche Entwicklungszusammenarbeit etwa mit dem Chancenkontinent Afrika ein. Zudem setzen wir uns dafür ein, dass Schutzsuchende in dem Land, in das sie zuerst flüchten, besser und nachhaltiger versorgt werden. Die Kürzung der Mittel für das UNCHR und das Welternährungsprogramm war zum Beispiel ein wesentlicher Auslöser für die Fluchtbewegung nach Europa im Jahr 2015. Für uns Freie Demokraten ist das Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte unantastbar. Dazu gehört auch die politische Verfolgung aus religiösen Gründen oder aufgrund der sexuellen Identität. Dabei wollen wir zwischen politisch Verfolgten, Kriegsflüchtlingen und dauerhaften Einwanderern unterscheiden. Für Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge wollen wir einen eigenen unbürokratischen Status schaffen – einen vorübergehenden humanitären Schutz, der auf die Dauer des Krieges begrenzt ist. Nach Identitätsfeststellung soll dieser Status unkompliziert verliehen und damit das Asylsystem massiv entlastet werden. Kriegsflüchtlinge sollen dabei nach Beendigung des Krieges in der Regel in ihr Heimatland zurückkehren. Für gut integrierte Schutzsuchende muss es auch die Möglichkeit eines „Spurwechsels“ in die Einwanderung in den Arbeitsmarkt geben. Denn wer einer Erwerbstätigkeit nachgeht oder sich in einer Qualifikationsphase (zum Beispiel Ausbildung oder Studium) befindet, sollte nicht ausgewiesen werden. Humanitäre Verpflichtungen gegenüber Schutzbedürftigen müssen erfüllt werden. Wir fordern als Kern einer Fortentwicklung der Gemeinsamen Europäischen Asylpolitik eine verbindliche Verteilung der Schutzsuchenden unter den EU-Staaten, es sei denn, sie haben erkennbar keine Bleibeperspektive. Die Dublin-Regelungen wollen wir weiterentwickeln, um Sekundärmigration wirksam zu verhindern. Erforderlich ist aus unserer Sicht eine feste, achtjährige Zuständigkeit des EU-Mitgliedstaates, dem eine Schutzsuchende oder ein Schutzsuchender zugeteilt wurde. Die Rücküberstellung in den zuständigen EU-Staat muss vereinfacht werden. Hilfsleistungen sollen die Schutzsuchenden in der Regel nur im zuständigen EU-Staat erhalten. Dabei muss gewährleistet sein, dass diese Hilfeleistungen in allen Mitgliedstaaten einem europäischen Mindestniveau entsprechen.
5) Fast 30 Jahre nach Inkrafttreten der UN-Kinderrechtskonvention hat der Bundestag erneut eine Aufnahme der Kinderrechte in das deutsche Grundgesetz versäumt. Werden Sie sich für Kinderrechte im Grundgesetz in einem eigenständigen Absatz, ohne unmittelbare Verknüpfung mit den Elternrechten, einsetzen?
Antwort: Die Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag hat sich an den Gesprächen über eine Grundgesetzänderung zur Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz konstruktiv beteiligt und einen eigenen Gesetzentwurf in den Deutschen Bundestag eingebracht (vgl. „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes – Artikel 6“ BT-Drs.19/28440 <https://dserver.bundestag.de/btd/19/284/1928440.pdf>). Wir erkennen an, dass sich in den mehr als siebzig Jahren seit Inkrafttreten des Grundgesetzes unsere Perspektive auf Kinder erheblich verändert hat. Diese Entwicklung sollte auch vom Grundgesetz selbst nachvollzogen werden. Für uns ist dabei wichtig, dass sich der Staat niemals als stiller Miterzieher in die Familie einmischen darf, indem er die „richtige“ Erziehung durchsetzt, sondern nur dann eingreift, wenn das Kindeswohl objektiv in Gefahr ist. Eine Neuregelung sollte Kinder als Grundrechtsträger ins Zentrum stellen und nicht nur den staatlichen Schutzauftrag und eine Pflicht zur Förderung über die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinaus noch einmal einseitig betonen. Zudem sollte das Kindeswohl bei allen staatlichen Entscheidungen, die es unmittelbar betrifft, „besonders“ berücksichtigt werden. Wichtig ist uns auch, dass Kinder in Verfahren, die sie selbst betreffen, entsprechend ihrem Alter und ihrer Reife angehört werden müssen. Schließlich sollte im Zuge einer Grundgesetzänderung auch das Diskriminierungsverbot „uneheliche[r] Kinder“ in Artikel 6 Absatz 5 Grundgesetz zeitgemäß angepasst werden, um damit die Vielfalt gelebter Familienkonstellationen und -realitäten im Grundgesetz besser abzubilden. Denn für uns Freie Demokraten ist klar, dass die Beziehung der Eltern zueinander keine Auswirkungen auf die Stellung des Kindes haben darf.
6) Die UN-Frauenrechtskonvention kritisiert seit Jahren den erschwerten Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland. Werden Sie, entsprechend der UN-Maßgaben, Schwangerschaftsabbrüche außerhalb des StGB neu regeln und eine ausreichende Versorgung bei Verhütung und Abbruch sichern?
Antwort: Die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen wird von der Rechtsordnung unter den Bedingungen der §§ 218a ff. StGB toleriert. Dieser Kompromiss ist das Ergebnis einer langen gesellschaftlichen Diskussion und sollte aus Sicht der Freien Demokraten in seiner Grundkonstruktion auch nicht angetastet werden. Wenn für die betroffene Frau feststeht, dass sie das Kind nicht bekommen möchte, muss es ihr innerhalb der gesetzlichen Frist auch möglich sein, diese Entscheidung umzusetzen. Wir Freie Demokraten setzen uns daher für einen umfänglichen und sicheren Zugang ein. Es ist aus unserer Sicht wichtig, dass Ärztinnen und Ärzte verlässliche Regeln haben, wie sie informieren dürfen und Frauen ein flächendeckendes und objektives Beratungsnetzwerk zur Verfügung steht. Dafür fordern wir die ersatzlose Streichung des Paragraphen 219a Strafgesetzbuch. Zudem muss sichergestellt sein, dass die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen in der medizinischen Ausbildung eine angemessene Rolle spielt. Auch hierdurch wird eine gute medizinische Versorgung gewährleistet. Wir Freie Demokraten setzen uns für einen qualitäts-, effizienz- und innovationssteigernden Wettbewerb unter den Krankenkassen ein. Diese sollen ihren Versicherten freiwillig zusätzliche Leistungen anbieten können, wie beispielsweise die Kostenübernahme für Verhütungsmethoden über das 22. Lebensjahr hinaus.
7) Dreiviertel unserer Bevölkerung wollen ihr Leben notfalls selbst beenden können, auch mit Unterstützung Anderer. Das BVerfG hat dies 2019 eindrücklich bestätigt. Sind Sie bereit, diesem Recht mit freiwilliger ärztlicher Unterstützung und Suizidkonfliktberatungsstellen zur Geltung zu verhelfen?
Antwort: Wir Freie Demokraten fordern ein liberales Sterbehilfegesetz. Es soll klar regeln, unter welchen Voraussetzungen Menschen Hilfe zur Selbsttötung in Anspruch nehmen und leisten dürfen. Es muss auch die Möglichkeit geben, ein letal wirkendes Medikament zu erhalten. Voraussetzung muss sein, dass der Wunsch frei und eigenverantwortlich sowie im Vollbesitz der geistigen Kräfte gebildet wurde. Für uns gilt das Selbstbestimmungsrecht auch am Lebensende.
8) Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften sind laut GG gleichberechtigt. Neben Religionsvertretern finden im politischen Diskurs Vertreter*innen einer religionsfreien humanistischen Weltanschauung wenig Berücksichtigung. Werden Sie den Dialog mit humanistischen Weltanschauungen pflegen?
Antwort: Als Freie Demokraten pflegen wir einen offenen und konstruktiven Dialog sowohl mit religiösen als auch humanistischen Organisationen. Dies werden wir auch in Zukunft beibehalten, denn für uns Freie Demokraten gehört zur Religionsfreiheit auch die Freiheit, keiner Religion anzugehören.