Neuregelung § 218 StGB: Entkriminalisierung bedeutet auch Entstigmatisierung

Der Schwangerschaftsabbruch sollte geregelt werden, aber nicht mittels Strafrechts, so der Tenor der Abendveranstaltung „Frauenrecht und Fötenschutz!“ des Humanistischen Verbandes Deutschlands – Bundesverband und der Humanistischen Akademie Deutschland. „Mit unserer Veranstaltung wollten wir nach dem Ampel-Aus einen positiven Impuls insbesondere an die politischen Akteure senden. Den heute Vormittag bekanntgewordenen fraktionsübergreifenden Vorstoß zur Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen begrüßen wir daher sehr“, sagt Katrin Raczynski vom Vorstand des Humanistischen Verbandes Deutschlands – Bundesverband. „In der gestrigen Podiumsdiskussion wurde aus medizinischer, juristischer und ethischer Perspektive insbesondere die Notwendigkeit der Kostenübernahme für Verhütungsmittel sowie die Aufnahme von Schwangerschaftsabbrüchen in die medizinische Ausbildung gefordert.”

Gita Neumann, Bundesbeauftragte für Medizinethik und Autonomie am Lebensende des Humanistischen Verbandes Deutschlands, erläuterte am gestrigen Abend die Hintergründe zur Motivation für die Veranstaltung „Frauenrecht und Fötenschutz!“. Sie betonte, dass die von ihr skizzierten Leitlinien des Positionspapiers, nachzulesen in der Broschüre „Zur Neuregelung von Schwangerschaftsabbrüchen“, im Grundsatz dem kürzlich vorgelegten Gesetzentwurf der drei Rechtsprofessorinnen Friederike Wapler, Maria Wersing und Liane Wörner entsprechen.

Im Positionierungsprozess profitierte der Humanistische Verband Deutschlands von der medizinethischen und rechtsgeschichtlichen Expertise und Fachberatung durch Prof. Dr. Hartmut Kreß, der die Eckpunkte einer Reform des Schwangerschaftsabbruchs vorstellte. Der Fachbuchautor und emeritierte Professor für Systematische Theologie / Schwerpunkt Ethik sagte: „Die Entkriminalisierung bildet einen Schlüssel dafür, Schwangerschaftsabbrüche rechtspolitisch so zu regeln, dass die Rechte der Frauen umfassend gesichert werden. Es kommt hinzu, dass nach deutscher Strafrechtslehre eine Strafe ein ‚sozialethisches Unwerturteil‘ ist. Solange der Staat Schwangerschaftsabbrüche als prinzipiell strafbar bzw. als rechtswidrig einstuft, hält er frühere moralische Verurteilungen wach, die heute nicht mehr akzeptabel sind.“

Durch die anschließende Podiumsdiskussion führte Dr. Christine Zunke, Bundesbeauftragte für Frauen* und Diversity des Humanistischen Verbandes Deutschlands. Angesprochen wurden im Wesentlichen drei Punkte: Unabhängig von der Diskussion um die Fristenregelung darf ein Schwangerschaftsabbruch nicht strafbar sein. Der Staat hat einen Versorgungsauftrag und sollte sich insbesondere wieder verstärkt um die sexuelle Aufklärung bemühen. Zudem gehöre der Schwangerschaftsabbruch in das Curriculum der medizinischen Ausbildung, damit Ärzt*innen respekt- und würdevoll an die Thematik herangehen. Die Podiumsgäste sagten:

Dr. Catharina Conrad vom Deutschen Juristinnenbund: „Das (reproduktive) Selbstbestimmungsrecht schwangerer Personen muss durch die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs gestärkt werden.“

Dr. Gabriele du Bois vom Deutschen Ärztinnenbund: „Ärzt*innen sind ohne Strafandrohung eher bereit, in Schwangerschaftskonfliktsituationen Abbrüche vorzunehmen.“

Sina Tonk von Terre des Femmes: „Viel zu lange schon werden mit dem Paragraf 218 StGB die Grundrechte von Frauen missachtet. Ein Schwangerschaftsabbruch ist keine Straftat und muss entkriminalisiert werden. Deutschland hat hier eine Verpflichtung, menschenrechtliche Standards endlich umzusetzen und Frauen das Selbstbestimmungsrecht über ihren Körper zuzugestehen.“

Christiane Herrmann vom Vorstand des Humanistischen Verbandes Deutschlands – Bundesverband: „Der Humanistische Verband Deutschlands setzt sich entschieden dafür ein, dass Frauen, die sich aus persönlichen Gründen für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden, entkriminalisiert werden. Regelungen, die den Abbruch in der Spätschwangerschaft betreffen, sollten dabei außerhalb des Strafrechts gestaltet werden.“

Die Podiumsdiskussion, an der auch Prof. Dr. Reiner Anselm von der Evangelischen Kirche in Deutschland teilnahm, endete mit einer anregenden Diskussion. Erwin Kress, Vorstandssprecher des Humanistischen Verbandes Deutschlands – Bundesverband, sagte anschließend: „Die Veranstaltung war sehr profund und informativ. Für den Verband stellte sich heraus, dass wir bei einigen Punkten weiter nachdenken müssen. Zur Vermeidung von Missverständnissen sollten wir deutlicher machen, für welchen geringen Anteil von Schwangerschaftsabbrüchen die Kontroverse um das Recht der Schwangeren gegenüber dem zunehmenden Recht eines entwickelten Fötus überhaupt eine Rolle spielt.“

Die zweite Abendveranstaltung der auch von der Humanistischen Akademie Deutschland unterstützten Veranstaltungsreihe „Neuregelung § 218 StGB“ findet am 29. Januar 2025 unter dem Titel „Später Schwangerschaftsabbruch“ im Haus des HUMANISMUS in Berlin statt.

Podium, „Frauenrecht und Fötenschutz!“ am 13. November 2024 in Berlin

Podium, „Frauenrecht und Fötenschutz!“ am 13. November 2024 in Berlin, Beitragsbild: Konstantin Börner

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