Offener Brief – Gott zu Gast bei der Einschulung in Egelsbach?

Offener Brief der HuGH an die Wilhelm-Leuschner-Schule Egelsbach, Evangelische Kirchengemeinde Egelsbach, Hessisches Kultusministerium:

Rund 130 Kinder feierten am 6. September in Egelsbach ihre Einschulung in die Wilhelm-Leuschner-Schule. Ein aufregender Tag für die neuen ABC-Schützen und ihre stolzen und überglücklichen Eltern. Überglückglich ja – übernatürlich aber bitte nicht. So meldeten sich zum Ende der Einschulungswoche irritierte Eltern bei uns, nachdem am Freitag ein weiteres Geschenk zur Einschulung an die Kinder überreicht wurde. Was war passiert?

Die Evangelische Kirche Egelsbach verteilte über die Klassenlehrer*innen an alle Erstklässler eine kleine Papiertüte mit dem aufgedruckten Slogan „Lesen in Gottes Welt“. In dieser Tüte befand sich das Erstleserbuch mit dem Titel „Pudel, Pauken und ein Plan“, ein explizit an die Kinder gerichtetes Anschreiben der Kirchengemeinde sowie eine Broschüre „Lesen in Gottes Welt“, welche für die Eltern gedacht ist. Zunächst mag man denken: „Wie schön, mein Kind bekommt etwas geschenkt.“ Doch wenn man sich die Sache genauer anschaut, stößt es doch sauer auf, was sich die Evangelische Kirche hier herausnimmt.

Staatliche Schulen, insbesondere Grundschulen, sind gemäß Grundgesetz zur religiösen Neutralität verpflichtet.  Religionsunterricht, bzw. Ethik oder Weltanschauungsunterricht ist an hessischen Schulen, so wie es das hessische Schulgesetz vorschreibt, entsprechend der persönlichen Wahl natürlich möglich. Aber eine „Werbung“ für jedwede Religion oder Weltanschauung sollte außerhalb des jeweiligen (Fach-)Unterrichts aus Neutralität und dem Recht auf negative Religionsfreiheit tunlichst unterbleiben.

Die Art und Weise in der die Kinder durch ein solches, außerschulisches – aber im Unterricht überreichtes – Geschenk manipuliert werden, ist nicht zumutbar. Gerade Erstklässler sind in besonderem Maße den unterschwelligen Aussagen auf der Tüte aber auch im Buch ausgesetzt – auch wenn sie vielleicht noch nicht lesen können, sie werden sicherlich fragen, was da wohl steht. Besonders brisant aber ist außerdem die beigelegte Broschüre für die Eltern. Sie soll Eltern sozusagen einen Leitfaden für die beginnende Schulzeit und das Lesenlernen mit Kindern an die Hand geben. In grün unterlegten „TIPPS“ werden zudem eindeutig religiöse Botschaften vermittelt, mit denen der Start in die Schulzeit leichter fallen soll. Als Beispiele seien hier zitiert: „Beginnen Sie den Tag mit den Worten: Halte zu mir, guter Gott, heut’ den ganzen Tag. Halt’ die Hände über mich, was auch kommen mag.“ oder auch „Wenn Sie Ihr Kind zur Schule verabschieden, streicheln Sie seinen Kopf und sprechen Sie: ‘ Gott segne Dich an diesem Tag.’ Und dann ab!“

Wir, die Humanistische Gemeinschaft Hessen, sind entsetzt, dass sich in solchem Maße über den Neutralitätsgrundsatz hinweggesetzt wurde. Wir protestieren auf das Schärfste gegen eine religiöse Vereinnahmung der Grundschulkinder und auch der Eltern. Durch die Übergabe des Geschenks in den Klassenräumen, überreicht durch die jeweilige Lehrkraft, ist es für die Kinder nicht ersichtlich oder verständlich, dass es sich um ein Werbegeschenk der Evangelischen Kirche und nicht um ordentliches Schulmaterial handelt. Eltern, die nicht der christlichen, einer anderen oder eben auch gar keiner Religion angehören, dürfte es schwerfallen, dem Kind zu erklären, dass man sich über dieses Geschenk jetzt nicht so sehr freut.

Die Humanistische Gemeinschaft Hessen möchte darauf dringen, dass in Zukunft doch sowohl die Schulen als auch die Schulbehörden mehr darauf achten, dass solche religiöse Werbung und Missionierungsversuche in Schulen, insbesondere in Grundschulen zu unterbleiben haben. Unbenommen bleibt es den Kirchen und anderen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, in ihren Gottesdiensten und anderen Veranstaltungen außerhalb von staatlichen Einrichtungen den Kindern und Eltern ihrer Gemeinden Erbauliches mit auf den Weg zu geben. Nach neusten Erkenntnissen ist der Anteil an Kirchenmitgliedern innerhalb Deutschlands im Jahr 2022 erstmals auf unter 50 % der Gesamtbevölkerung gefallen. Die flächendeckende Übergabe eines solchen religiös motivierten Geschenks an einen gesamten Einschulungsjahrgang ist somit nicht nur örtlich fehl am Platz, sondern auch statistisch für etwa die Hälfte nicht von Belang.

Timo Saueressig
Präsident

Einschulung

 

 

HuGH | Humanistische Gemeinschaft Hessen