“Staatsleistungen” an Kirchen

Im Folgenden möchten wir Mitglieder und Interessierte über die sogenannten historischen oder altrechtlichen, nicht zweckgebundenen Staatsleistungen an Kirchen informieren.

Die Humanistische Gemeinschaft Hessen, die Mitglied im „Bündnis altrechtliche Staatsleistungen abschaffen – BA§TA“ ist, fordert die Umsetzung des Verfassungsgebots, diese sogenannten altrechtlichen oder historischen Staatsleistungen an die Kirchen abzulösen.

Die Komplexität der ganzen Thematik beginnt schon mit der exakten Definition des Begriffs „Staatsleistungen“! Um was geht es eigentlich, wenn wir von den altrechtlichen oder historischen Staatsleistungen sprechen? Hier geht es nicht um die Mittel, welche der Staat für den Religionsunterricht oder die theologischen Fakultäten aufwendet, nicht um die staatlichen Zahlungen für kirchliche Kindergärten oder Schulen, für kirchliche Beratungsarbeit,  für den Denkmalschutz oder die Entwicklungshilfe, nicht um die Mittel, welche vom Staat oder von den Sozialversicherungsträgern an Diakonie oder Caritas für kirchliche Krankenhäuser, Seniorenheime oder Pflegeeinrichtungen oder für die Erledigung anderer Aufgaben, die im öffentlichen Interesse liegen, gezahlt werden. Und schon gar nicht gemeint sind die von den Kirchenmitgliedern gezahlten Kirchensteuern. Vielmehr stehen hier ausschließlich die historischen Staatsleistungen in Rede, die ohne Bindung an ein öffentliches Interesse und nicht zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben gezahlt werden, sondern zweckbindungsfrei allein der institutionellen Förderung der Kirchen dienen und ihnen zur freien Verfügung überwiesen werden.

Diese zweckbindungsfreien Staatsleistungen beliefen sich im Jahr 2018 auf über 538 Mio. EUR, davon entfielen allein auf Hessen 51 Mio. EUR, die – wohlgemerkt! – aus den allgemeinen Steuermitteln entrichtet werden. Von 1949 bis 2020 sind insgesamt 19 Milliarden Euro gezahlt worden. Obwohl die Zahl der Kirchenangehörigen sinkt (deutschlandweit von rund 95 % der Bevölkerung im Jahr 1949 auf rund 52% im Jahre 2019), wachsen die Beträge jährlich, da sie an die Entwicklung der Beamtengehälter gekoppelt sind.

Die Staatsleistungen sind ein Relikt des Feudalismus: Da die Feudalherren nicht demokratisch legitimiert waren, konnten sie ihren Herrschaftsanspruch nur mit Gott, der Religion, also mit Hilfe der Kirche rechtfertigen. Folgerichtig gab es in vordemokratischen Zeiten eine enge Verknüpfung von Staat und Kirche, besser: von Thron und Altar.

Da es keinen Interessengegensatz, sondern vielmehr gemeinsame Interessen gab und da Adel wie Klerus regelmäßig derselben sozialen Schicht entstammten, kam einer überzeugenden Begründung der Staatsleistungen keine überragende Bedeutung zu: Sie entsprachen schlicht der feudalen Staatsräson.

So sehr die Staatsleistungen dem feudalen Prinzip entsprachen, so sehr widersprachen – und widersprechen – sie dem demokratischen Prinzip! Reichsregierung und Reichspräsident sollten nach der Revolution von 1918 wesentlich überzeugender, nämlich demokratisch legitimiert werden. „Eine freie Kirche in einem freien Staat“ schwebte der Nationalversammlung von Weimar kirchenpolitisch vor. Statt von staatlichen Zuschüssen sollte sich die Kirche in den neuen demokratischen Zeiten von den Beiträgen ihrer Mitglieder erhalten.

Und hier kam man den Kirchen sogar großzügig entgegen, indem man das Instrument der Kirchensteuer ersann, welches zwar zu Weimarer Zeiten zurückhaltender, wir würden sagen richtiger und die Grundrechte schonender ausgelegt wurde, aber immerhin: Die Kirchensteuer ist in jedem Falle eine gewollte Durchbrechung des Säkularitätsprinzips und daher sicherlich auch für sich diskutabel. Aber sie sollte die Staatsleistungen ersetzen, nicht ergänzen!

Leider wurde – aufgrund des Widerstandes der Kirchen und der kirchenfreundlichen Politiker insbesondere aus dem konservativen politischen Spektrum sowie aufgrund der politischen Wirren des Jahres 1919 – auf eine unmittelbare Umsetzung verzichtet. Es wurde lediglich ein entsprechender Auftrag an den Gesetzgeber in die Verfassung aufgenommen.

Artikel 138 Absatz 1 Weimarer Reichsverfassung wurde daher wie folgt formuliert:

„Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf.“

Dieser Artikel gilt über Artikel 140 Grundgesetz noch heute und findet auch seine Entsprechung in der Hessischen Verfassung. Hier heißt es in Artikel 52:

„Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften werden im Wege der Gesetzgebung abgelöst.“

Der von der Verfassung auf Reichs- heute: Bundesebene seit 1919 vorgesehene Weg der Ablösung sieht also vor, dass zunächst der Reichs- bzw. Bundesgesetzgeber ein Grundsätze-Gesetz erlässt, auf dessen Basis dann die Länder die Ablösung an sich vornehmen.

Diese zwei Stufen des Verfahrens spielen seitdem kirchenfreundliche Politiker geschickt gegeneinander aus.

Denn die wechselnden Bundesregierungen aller Couleur sahen und sehen keine Veranlassung ein solches Grundsätzegesetz zu erlassen, da der Bund die Staatsleistungen schließlich nicht zu zahlen habe und der Verfassungsauftrag zudem weder befristet noch sanktioniert sei! – Stattdessen werden die Länder ausdrücklich auf die Möglichkeit der vertraglichen Ablösung verwiesen.

Die Bundesländer ihrerseits sind zwar belastet, vertreten aber dieselbe Auffassung, nämlich, dass sie ohne ein Grundsätzegesetz höchstens auf vertraglichem Wege, also im Einvernehmen mit den Kirchen, tätig werden dürften.

Die Blockade der politischen Funktionsträger auf Bundes- und Landesebene kann nur als vorsätzlicher Verfassungsbruch gewertet werden. Offensichtlich wiegt die Loyalität zu den Großkirchen schwerer als die Verfassungstreue!

Denn natürlich könnten die Landespolitiker auch ohne Grundsätzegesetz aktiv werden! – Sie könnten über den Bundesrat versuchen, ein solches Bundesgesetz zu initiieren! – Sie könnten an die Kirchen herantreten und versuchen, im Wege der gütlichen Einigung einen Verzicht auf weitere Staatsleistungen zu erreichen! – Sollten alle diese ernsthaft unternommenen Versuche scheitern, stünde einer landesgesetzlichen Beendigung der Staatsleistungen nichts im Wege. Angesichts des erstaunlichen, offenkundigen und vorsätzlichen Verfassungsverstoßes seitens des Bundesgesetzgebers kann der Landesgesetzgeber nicht daran gehindert sein, eine gesetzliche Ablösung auch ohne Bundesgrundsätzegesetz herbeizuführen. Eine Berufung des Bundes auf seine Grundsätze-Kompetenz würde angesichts seiner verfassungswidrigen Untätigkeit gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen und vom Bundesverfassungsgericht mit Sicherheit nicht gehört werden. Auch dem dreisten Versuch kirchenfreundlicher Juristen und Politiker, aus dem Artikel 138 Abs. 1 WRV sogar eine Bestandsgarantie der Staatsleistungen herauszulesen, kann unter Anwendung sowohl der teleologischen als auch der historischen Auslegungsmethode nicht gefolgt werden. Sinn und Zweck der genannten Verfassungsvorschrift ist es, eine Institutsliquidation herbeizuführen. Zwar ist für die Umsetzung ein bestimmtes Verfahren vorgesehen. Aus dieser Verfahrensvorschrift, die der Adressat treuwidrig seit Jahrzehnten ignoriert, jedoch eine vom Verfassungsgeber gewollte Bestandsgarantie der Staatsleistungen machen zu wollen, hieße den Sinn und Zweck der Vorschrift sowie die Intention des Verfassungsgebers in ihr Gegenteil zu verkehren.

Ziel des Unterlassens auf Bundes- wie Landesebene ist offensichtlich, den betroffenen Kirchen auf diese Weise ein – an sich nicht bestehendes – Vetorecht bei der Frage des „Ob“ und des „Wie“ der Ablösung bzw. Beendigung der Staatsleistungen einzuräumen: Während der hoheitliche Weg über eine gesetzliche Regelung wesensgemäß einseitig erfolgt, bedarf es bei einer vertraglichen Regelung immer der Zustimmung beider beteiligten Vertragsparteien.

Ein Vetorecht der Kirchen besteht im Fall einer gesetzlichen Regelung nämlich nicht, obwohl dies von kirchenfreundlichen Juristen und Politikern unter Verweis auf in den Staatskirchenverträgen vereinzelt vereinbarte Zustimmungsvorbehalte gerne behauptet wird. Solche Zustimmungsvorbehalte hätten jedoch bereits bei ihrer Begründung gegen geltendes Verfassungsrecht verstoßen, da sich auch Staatskirchenverträge – wie alle öffentlich-rechtlichen Verträge – an den verfassungsrechtlich vorgegebenen Rahmen halten müssen: Generell ist eine Vertragsbindung mit dem Ziel der Steuerung und langfristigen Bindung des Gesetzgebers auf einer besonderen Rechtsebene über dem Gesetz systemwidrig und rechtsdogmatisch nicht haltbar.

Allerdings ist es zutreffend, dass das Verfassungsgebot der gesetzlichen Ablösung bzw. Beendigung einer einvernehmlichen vertraglichen Ablösung bzw. Beendigung nicht entgegensteht. Die spannende Frage ist nur, zu welchen Bedingungen die Kirchen ihre Zustimmung zu einer vertraglichen Einigung geben würden.

Die Begründung jedenfalls, die zur Verteidigung der Staatsleistungen bzw. zur Bezifferung enorm hoher Ablösezahlungen herhalten muss, ist wenig überzeugend, wird hier doch klassischerweise die Enteignung kirchlichen Vermögens genannt und als historisches Ereignis der sogenannte Reichsdeputationshauptschluss von 1803 ins Feld geführt. Dieser betraf jedoch vornehmlich die Katholische Kirche, da es wegen der Institution des landesherrlichen Kirchenregiments im protestantischen Bereich keine eigenständigen, von weltlichen Fürsten unabhängigen „protestantischen Bistümer“ gab, sondern lediglich einige noch nicht säkularisierte evangelischen Stifte und Klöster. Im Falle der Evangelischen Landeskirchen wurde daher flugs noch zusätzlich mit den dreihundert Jahre zuvor erlittenen „Vermögensverlusten“ aufgrund der Reformation argumentiert. Letztlich steht dahinter wohl allein der Gedanke der Parität, also der Gleichbehandlung der beiden großen christlichen Konfessionen in Deutschland.

Wie auch immer: Die Frage muss erlaubt sein, wie die Kirchen in jenen undemokratischen Zeiten überhaupt zu ihren Rechtstiteln kamen und ob diese überhaupt Eigentumsrechte vermittelten oder inwieweit es sich um prinzipiell jederzeit entschädigungslos einziehbare Lehensgüter handelte.

Der Teufel steckt wie so oft im Detail und eigentlich sollten diejenigen, die sich auf Vermögensverluste berufen, verpflichtet und in der Lage sein, diese zu beweisen. Das dürfte schwierig werden und angesichts des historischen Hintergrunds könnte es unappetitlich werden: Denn die Kirchen profitierten regelmäßig nicht nur von der Großzügigkeit weltlicher Herrscher, sondern oft genug auch von der Verfolgung, Entrechtung und Ermordung von Heiden, Hexen, Häretikern und Juden. Wie im Falle der weltlichen Fürstenfamilien ist das Eigentum der Kirchen mit Sicherheit nur in den seltensten Fällen unter rechtsstaatlich wie ethisch vertretbaren Umständen erworben worden. Schließlich waren die Kirchen – unter Historikern unbestritten – Teil des feudalen, undemokratischen Staatsapparats.

Wie hoch schlugen – zu Recht! – im Jahr 2020 die Wellen der Empörung als bekannt wurde, dass Nachfahren der Hohenzollern sich erdreisteten, Ansprüche auf Kunstwerke, Immobilien und Entschädigungen geltend zu machen. Nun heißt es, die Ansprüche bestünden nicht, wenn bewiesen werden kann, dass die Hohenzollern dem Nationalsozialismus „erheblichen Vorschub geleistet“ hätten.

Aber mit Verlaub: Im Vergleich zu dem, was die Bundesländer jedes Jahr an Staatsleistungen an die beiden Kirchen zahlen, nehmen sich die Ansprüche des Hauses Hohenzollern nachgerade bescheiden aus! Schmerzlich vermissten historisch hinreichend gebildete und säkular interessierte Menschen solche naheliegenden Vergleiche in der Berichterstattung! Und dass die Kirchen sowohl dem bis 1918 herrschenden Feudalismus als auch dem Nationalsozialismus „erheblichen Vorschub geleistet“ haben, steht ebenfalls außer Frage.

Um es auf den Punkt zu bringen: In säkularen Demokratien hatten und haben hohe Entschädigungszahlungen an ehemalige feudale Funktionsträger, seien es Institutionen, Familien oder Personen, keine Berechtigung.

Die allein im Zeitraum 1949 bis 2020 gezahlten Staatsleistungen von bundesweit 19 Mrd. EUR stellen bei Lichte betrachtet mehr dar, als die Kirchen 1919 als Ablösezahlung legitimerweise hätten erwarten dürfen.

Gemeinsam mit dem bundesweiten „Bündnis altrechtliche Staatsleistungen abschaffen“ sagen wir, die Humanistische Gemeinschaft Hessen, daher: BASTA! – Es reicht! – Hundert Jahre Verfassungsbruch sind genug!

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