Schutz vor Ansteckung vs. Einsamkeit

Das Leben von (nicht nur) alten Menschen in der Pandemie

„Besucherstopp“, „Hygieneregeln“, „social distancing“, „Kontaktbeschränkungen“, „Restaurants, Cafés und Kultureinrichtungen geschlossen“, „Risikogruppe“ – alles Schlagworte, die uns umtreiben. Wie erleben Menschen, die z. B. in Pflegeeinrichtungen leben oder im Krankenhaus sein müssen die Situation und was macht sie mit den vielen alleinlebenden Menschen, die eventuell auch noch einer der Risikogruppen angehöSenioren Händeren? Und wie sieht es mit denen aus, die ihre Angehörigen in Einrichtungen nur unter sehr erschwerten Bedingungen oder auch überhaupt nicht besuchen können?

Eine Betrachtung von Christiane Friedrich, Landessprecherin der Humanistischen Gemeinschaft Hessen.

Es ist schon merkwürdig – gerade in dieser dunklen Jahreszeit in der wir alle ganz besonders auf die Wärme in unseren Familien und mit unseren Freunden angewiesen sind, dürfen wir uns nicht oder nur eingeschränkt treffen. Das Coronavirus hat unser Leben verändert. Nicht nur, dass wir alle an öffentlichen Orten Masken tragen müssen, nicht nur, dass Restaurants und kulturelle Orte geschlossen sind, nein, ich denke ganz besonders engen uns alle die strengen Kontaktbeschränkungen ein. Gerade jetzt möchten wir uns doch mit Freunden und Familienmitgliedern treffen. Und das ganz besonders, wenn diese eventuell im Krankenhaus sein müssen oder auch im Pflegeheim leben. Doch genau das ist noch schwieriger als sich mit anderen zu treffen. In vielen Krankenhäusern und Senioreneinrichtungen gelten strenge Besuchsregelungen. Da ist von nur einem bis zu drei Besuchen pro Woche mit einer oder maximal zwei unterschiedlichen Personen bis hin zu einem generellem Besuchsverbot alles dabei.

Natürlich wird so eine Beschränkung zum Wohle der Risikopatienten und Bewohner der Seniorenheime sowie des Pflegepersonals ausgesprochen, doch was macht sie mit den Bewohnern, was mit ihren Angehörigen? In vielen Gesprächen habe ich als selbst betroffene Angehörige, aber auch als humanistische Lebensberaterin/Seelsorgerin ganz unterschiedliche Erfahrungen gemacht und kennengelernt.

Die meisten Personen kommen mit den geänderten Bedingungen, beispielsweise auch im Bereich der Arbeit gut zurecht. Bei einigen gibt es Homeoffice, bei fast allen, die weiter vor Ort im Betrieb arbeiten, Maskenpflicht. Diese wird häufig als extrem hinderlich angesehen. Das Atmen fällt natürlich schwerer. Besonders aber wird von allen die erschwerte Kommunikation, verbal wie nonverbal genannt. Das wird mir übrigens besonders oft von Personen genannt, die im Bereich der Pflege arbeiten. Hier aber ist es sehr wichtig, gut gehört zu werden, gerade hier ist eine gute Kommunikation auch ohne Worte wichtig. Auch bei meiner Tätigkeit ist eine Mund-Nasen-Maske hinderlich. Wenn ich als Trauerrednerin zu Angehörigen gehe, um mit diesen über die Verstorbenen zu sprechen, sind  oft gerade Gefühlsregungen die wichtigen Aussagen.  Nun aber bleiben sie hinter den Masken oftmals verborgen. Und das gilt natürlich auch umgekehrt. Ganz zu schweigen, wenn ich die Trauerrede dann halte. Es ist schwierig, eine Rede mit Mundschutz und Brille zu halten, wenn man durch das Beschlagen derselben in der kalten Luft nichts mehr sieht.

Schwieriger noch ist es in dieser Pandemie für Menschen, die im Krankenhaus sein müssen oder in Pflegeeinrichtungen leben. „Ich fühle mich manchmal wie im Gefängnis!“, sagte mir zuletzt eine alte Dame über ihre Situation im Pflegeheim. Sie lebt seit 5 Jahren dort, aber erst jetzt äußert sie diese Meinung. Ihr Sohn darf sie nur noch nach Voranmeldung besuchen, dann nur maximal eine Stunde und nur in einem speziellen Raum. „Immer ist im Raum auch eine Pflegekraft, immer natürlich alle mit Mundschutz, immer natürlich auch mit Händedesinfektion und weitem Abstand getrennt außerdem durch eine Tischreihe und Plexiglasscheiben.“, so die alte Dame. Sie erzählte mir, dass er sie nicht umarmen durfte und sie nicht ihn, kein Händestreicheln, keine Übergabe von Mitbringsel oder Geld. Das konnte sie am wenigsten verstehen. „Das haben doch sowieso ganz viele Menschen in der Hand gehabt, warum muss es am Eingang in einem Umschlag getan werden und dann erst wird es auf mein Zimmer gebracht?“, fragt sie sich. Ich gebe zu, das habe ich mich auch gefragt. Auf Nachfrage im entsprechenden Pflegeheim bekam ich die Antwort: „Es ist Vorschrift!“.

Als die besagte Dame einige Zeit später ins Krankenhaus muss, darf ihr Sohn sie nun nach Vorankündigung jeden Tag besuchen, natürlich auch unter entsprechenden Hygieneregeln. Beide, Sohn und Mutter, verstehen nicht so ganz, warum es solche Unterschiede in der Handhabung der Besuchszeiten gibt.

Ein anderer Fall, stellvertretend für wohl Einige: Eine junge Frau berichtet mir von ihren Einschränkungen beim Besuchen ihrer dementen Großmutter. Vor der Coronapandemie hat sie diese jede Woche besucht, nun darf sie das nicht mehr, weil maximal zwei unterschiedliche Personen als Besucher in diesem Pflegeheim in einer Großstadt zugelassen werden. Für die alte Dame sind das der Sohn und die Tochter. Das bedeutet, dass die Enkelin ihre Großmutter seit Februar nicht mehr gesehen hat, ebenso wie die die anderen Enkel. Sie befürchtet, dass ihre Oma sie mittlerweile wohl nicht mehr erkennen wird.

Das dritte Beispiel ist ein alter Mann, der plötzlich ins Krankenhaus muss. Er ist schwer dement und sein Sohn kümmert sich um ihn. Doch im Krankenhaus darf er ihn zunächst nicht begleiten. Er muss ihn an der Pforte alleine lassen. Der alte Mann weiß nicht wohin, eine Pflegekraft nimmt ihn mit. Ich kann mir nur schwer vorstellen, was der alte Mann denkt, aber der Sohn berichtet mir einige Tage später, dass der Vater sehr verwirrt war, kaum wusste, wo er war und sich nicht zurechtfand.

Aber man muss sicher auch die Situation der Pflegekräfte beachten. Gerade sie stehen in dieser Situation mit dem Rücken zur Wand, sie müssen Vorschriften beachten, gleichzeitig ihre normale Arbeit und nun zusätzlich noch unzählige weitere Arbeiten im Bereich Hygieneregeln übernehmen. Gleichzeitig sind sie natürlich auch besonders gefährdet, sich oder auch ihre Patienten anzustecken. Ganz abgesehen davon, dass sie oft noch die Arbeit evtl. ausgefallener Kollegen mit übernehmen müssen. Kein leichter Job. Das Robert-Koch-Institut hat seine Handlungsempfehlungen für Alten- und Pflegeeinrichtungen zum Wohle der Betroffenen überarbeitet: Darin heißt es jetzt im Abschnitt Besucherregelungen: „Neben der Abschätzung der Risiken sollten auch die möglichen Auswirkungen auf das Wohlergehen der Bewohner/Betreuten, der Angehörigen sowie des Personals der Einrichtung in die Überlegungen miteinbezogen werden. Letztendlich muss eine Abwägung erfolgen zwischen dem Nutzen der Maßnahmen zum Schutz der Bewohner/Betreuten/Mitarbeiter vor einer Infektion und deren potentiellen Folgen und den möglichen negativen psychosozialen Auswirkungen sowie anderen Kollateralschäden. Dies ist, gerade auch unter dem Aspekt einer sich ständig wandelnden Situation, eine schwierige Gratwanderung.“

Nach einer Umfrage von Tagesschau.de gibt es in etwa 200 von rund 800 Pflegeeinrichtungen Corona-Fälle. Man sieht also, Vorsicht ist gerechtfertigt, um nicht Großausbrüche wie in z. B. Hannover oder Berlin zu bekommen. Was aber leider immer noch nicht passiert ist eine Sammlung aller relevanten Daten an den entsprechenden Stellen. So weiß niemand, in wie vielen Einrichtungen es einen Besuchsstopp gibt und die Bewohner also in Isolation leben. Ferner schießen auch etliche Pflegeeinrichtungen weit über die geltenden Rechtsverordnungen hinaus. Aber auch Behörden in einigen Städten mit hohen Inzidenzen verhängen absolute Besuchstopps wegen der Angst vor Großausbrüchen in den Einrichtungen.

Ich erlebe viele Angehörige ziemlich hilflos. Sie sehen, dass ihr Vater, ihre Mutter, die Großmutter oder der Großvater nicht nur körperlich, sondern nun auch teilweise immer schneller mental abbaut. Experten können dies nur bestätigen und plädieren deshalb dafür, alles dafür zu tun, dass alte Menschen weiterhin von ihren Angehörigen besucht werden können. Dazu müssten unter anderem Schnelltests in den Einrichtungen vorrätig sein und auch benutzt werden. Und sicherlich wird auch mehr Personal in den Einrichtungen erforderlich sein. Nur so ist es möglich, Menschen auch in Pflegeeinrichtungen unter Corona-Bedingungen würdig alt werden zu lassen.

Als Humanistische Gemeinschaft bieten wir die Möglichkeit, persönlich – aktuell aber natürlich auch telefonisch – für Lebensberatung und Seelsorge zur Verfügung zu stehen. Für Senioren, aber auch die Angehörigen. Denn nicht nur die Menschen in den Heimen und Krankenhäusern leiden unter der Situation, auch deren Familienmitglieder und Mitmenschen zuhause. Vielleicht können solche Angebote helfen, die Situation erträglicher zu machen und neuen Mut zu finden.

Lassen Sie uns gemeinsam etwas mitmenschlicher werden und trotz aller Maßnahmen, die natürlich erforderlich sind, den Zusammenhalt und die Nähe nicht außer Acht lassen.

 

 

HuGH | Humanistische Gemeinschaft Hessen